LG München I vom 22.09.2020 – Minderung der Gewerbemiete bei behördlich angeordneter Schließung in Zeiten der Pandemie?
Das LG München I hat mit Urteil vom 22.09.2020 entschieden, dass einem Mieter aufgrund einer behördlichen Nutzungsuntersagung der angemieteten Geschäftsräume infolge der Corona-Pandemie ein Minderungsrecht zusteht und darüber hinaus die Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage Anwendung finden.
Die Klägerin hat an die Beklagte mit Mietvertrag vom 10.10.2017 Geschäftsräume in der Münchner Innenstadt vermietet. Die Beklagte ist zur Zahlung einer monatlichen Gesamtmiete in Höhe von EUR 76.003,22 verpflichtet. Durch behördliche Anordnung wurde der Beklagten für den Zeitraum vom 18.03.2020 bis 26.04.2020 die Öffnung vollständig untersagt. Für den darauf folgenden Zeitraum war der Betrieb gemäß behördlicher Anordnung nur eingeschränkt auf einer Fläche von 800 m² der ursprünglich angemieteten 2.929 m² möglich. Die Beklagte sah sich deshalb zumindest für den Monat April zur Mietminderung in Höhe von 100 % berechtigt, überdies war sie der Meinung, die Geschäftsgrundlage sei gestört. Die Klägerin lehnte hingegen eine Minderung sowie eine Störung der Geschäftsgrundlage ab, da eine behördliche Nutzungsuntersagung keinen Mangel der Mietsache darstelle. Die Geschäftsräume waren auch während der behördlichen Nutzungsuntersagung zum vertraglich vereinbarten Zweck vom Vermieter überlassen worden, darüber hinaus trage das Betriebsrisiko die Beklagte. Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass eine Störung der Geschäftsgrundlage nicht in Betracht käme, da das Verwendungsrisiko bei der Beklagten liege und darüber hinaus eine gemeinsame Geschäftsgrundlage ausscheide, da die Parteien bei Vertragsschluss keine Vorstellungen zu einer Pandemie gehabt hätten.
Das LG München I sieht jedoch in der behördlich angeordneten Nutzungsuntersagung sowohl ein Minderungsrecht der Beklagten als auch eine Störung der Geschäftsgrundlage.
Zur Mietminderung führt es aus, dass seit der Frühzeit der Anwendung des BGB anerkannt sei, dass aufgrund Verbots der Öffnung von Verkaufsflächen ein Mangel i.S.d § 536 Abs. 1 S. 1 BGB vorliegen kann, weil die Tauglichkeit der Mieträume für den vertragsgemäßen Gebrauch aufgehoben oder gemindert ist. Das LG München I stützt sich hierbei auf vier Entscheidungen des Reichsgerichts, in denen jeweils eine Mangel- oder Fehlerhaftigkeit aufgrund behördlicher oder polizeilicher Verbote bzw. Nutzungsuntersagungen bejaht wurden.
Das LG München I sieht in den behördlich angeordneten Beschränkungen einen Mangel im Sinne des § 536 Abs. 1 S. 1 BGB. Es führt dazu aus, dass ohnehin anerkannt sei, dass öffentlich-rechtliche Beschränkungen als rechtliche Verhältnisse einen Mangel darstellen können, wenn sie sich auf Beschaffenheit, Benutzbarkeit oder Lage der Sache beziehen, wobei es auf den vereinbarten Geschäftszweck ankommt und die Beschränkung grundsätzlich bestehen muss.
Dass die Beklagte die Geschäftsräume durch die öffentlich-rechtlichen Beschränkungen infolge der Corona-Pandemie nicht mehr zu dem vertraglich vereinbarten Zweck nutzen konnte (Möbelgeschäft mit Wohnaccessoires) falle nicht in den Risikobereich der Beklagten. Denn auch wenn vertraglich vereinbart wurde, dass die Beklagte alle für den Betrieb erforderlichen Genehmigungen einzuholen und aufrechtzuerhalten habe, so führt diese Regelung zu keiner anderen Risikoverteilung, da hiermit nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien nur baubehördliche oder arbeitsrechtliche Genehmigungen gemeint sein konnten. Die durch die Corona-Pandemie getroffenen behördlichen Nutzungsbeschränkungen betreffen jedoch die Nutzungsmöglichkeit gemäß dem vertraglichen Mietzweck der Mietsache selbst und an diesen Mietzweck muss sich auch die Klägerin festhalten lassen. Durch die Beschränkungen war der vereinbarte und von den Parteien vorausgesetzte Nutzungszweck der Mietsache erheblich gestört. Das LG München I vertritt die Auffassung, dass dies einen Mangel der Mietsache begründe, sodass ein Minderungsrecht zu bejahen sei. Für die Zeit der vollständigen Schließung der Räume (April) hat das Gericht eine Minderung in Höhe von 80 % sowie für die Monate Mai und Juni jeweils in Höhe von 50 % bzw. 15 % für angemessen erachtet.
Das LG München I vertritt in seinem Urteil auch die Auffassung, dass in der vorliegenden Konstellation eine Störung der Geschäftsgrundlage gegeben sei, da die Parteien die Folgen einer eintretenden Corona-Pandemie und Infektionsschutzmaßnahmen durch den Staat offenkundig nicht bedacht haben und so den Vertrag kaum geschlossen hätten, § 313 Abs. 1, Abs. 2 BGB. In der Rechtsfolge wäre die Anpassung ganz offenkundig in der Reduzierung der Miete gelegen, wobei die Höhe der Reduzierung der gesetzlichen Minderung entspräche. Die Anwendung der Mängelhaftungsrechte sei jedoch vorrangig.
Es bleibt abzuwarten, wie andere Gerichte zu dieser Frage entscheiden. In den nächsten Monaten werden dazu sicherlich weitere Entscheidungen folgen.